Peter Trebsche, Marlies Außerlechner, Helena Seidl da Fonseca, Markus Staudt 12.04.2021
Die Gemeinde Traunkirchen ist seit dem 19. Jahrhundert als bedeutende archäologische Fundstätte bekannt. Bei verschiedenen Baumaßnahmen entdeckte man Gräber aus der älteren Eisenzeit (ca. 800 bis 450 v. Chr.), die in vielen Aspekten mit dem berühmten Gräberfeld von Hallstatt vergleichbar sind. Archäologen des Bundesdenkmalamtes gruben 1998 im Kreuzgang und im Innenhof des Klosters über 90 Bestattungen der Hallstattzeit aus, die sogar noch in die späte Bronzezeit (ca. 1300 bis 800 v. Chr.) zurückreichen. Die Prunkstücke aus diesen Untersuchungen wurden erstmals bei der Landesausstellung „schätze.gräber.opferplätze“ im Jahr 2008 der Öffentlichkeit präsentiert. Aktuell sind die Highlights in einer vom Verein ArcheKult gestalteten Ausstellung im Kloster Traunkirchen zu besichtigen. Der Reichtum der Traunkirchner Gräber gibt Anlass zur Vermutung, dass der Ort Traunkirchen in der Urgeschichte eine wichtige Rolle im Salzhandel spielte, der von der Saline Hallstatt die Traun abwärts in das Alpenvorland und in das Donautal führte.
Die Organisation des urgeschichtlichen Handels und des Warenverkehrs kann am besten im Siedlungsbereich untersucht werden, der zu den genannten Gräberfeldern gehört und sich am Ufer des Traunsees auf der markanten Halbinsel erstreckte. Durch seine naturräumliche Lage und Verkehrsanbindung bietet sich dieser Platz geradezu als Schiffsanlagestelle und Umschlagplatz für den Wassertransport an. Im Gegensatz zu den prähistorischen Gräbern ist der Siedlungsbereich bisher allerdings nur punktuell erforscht. Ein Schiffsunglück im Jahr 1981 führte zur Entdeckung der ersten urgeschichtlichen Funde unter Wasser. Damals entdeckten Taucher des Bundesdenkmalamtes eine Kulturschicht unter Wasser, in der hallstattzeitliche Funde unter Wasserabschluss ganz hervorragend erhalten waren. Im Anschluss an diese Entdeckung fand im Jahr 1994 eine kleine Grabung im ehemaligen Klostergarten (heute öffentliche Parkanlage) südlich der Friedhofsmauer statt. Auch dabei stieß man auf Gebäudereste aus der Hallstattzeit, die jedoch aus Geldmangel nicht weiter untersucht werden konnten.
An diese Jahrzehnte alten Entdeckungen knüpfte im Jahr 2020 ein Forschungsteam bestehend aus Archäolog*innen der Universität Innsbruck und des Kuratoriums Pfahlbauten an. Das Pilotprojekt wird vom Verein ArcheKult (Obmann Manfred Schindlbauer) organisiert und vom Bundesdenkmalamt gefördert. Das Oberösterreichische Landesmuseum ist als Partner für die Konservierung von feucht erhaltenen Funden beteiligt. Mit modernen Prospektionsmethoden soll die urgeschichtliche Seeufersiedlung von Traunkirchen erfasst werden, um den Erhaltungszustand des archäologischen Erbes zu bewerten und damit den künftigen Schutz zu gewährleisten. In erster Linie geht es in dem Pilotprojekt darum, die genaue Ausdehnung des prähistorischen Siedlungsareals festzustellen und die prähistorischen Kulturschichten präzise zu datieren. In zwei einwöchigen Prospektionskampagnen im Oktober 2020 und im April 2021 sollen diese Fragen beantwortet werden, um die Grundlage für weiterführende Forschungen zu schaffen. Da sich die Fundzone sowohl an Land als auch unter Wasser erstreckt, kommen dabei unterschiedliche Methoden zum Einsatz.
Unter Wasser ging eine Gruppe von Forschungstaucher*innen unter der Leitung von Helena Seidl da Fonseca (Kuratorium Pfahlbauten) auf die Suche nach prähistorischen Funden. Die Unterwasserarchäolog*innen betauchten die Flachwasserzone im Uferbereich und untersuchten mit Bohrsonden den Seegrund in einem systematischen Raster. Die Stelle, an der 1981 der Dampfer auf Grund gelaufen war und die ersten Unterwasserfunde entdeckt wurden, konnte leider nicht wiedergefunden werden. Der „Dampfergraben“ war nach fast 40 Jahren wieder zugeschwemmt, außerdem ist der Seegrund von zahlreichen Pflanzen und Dreikantmuscheln dicht bewachsen, sodass keinerlei archäologische Funde oder Schichten sichtbar sind. Dennoch gelang es, in der ersten Woche des Projektes drei Bohrfluchten parallel und quer zum Ufer zu sondieren. Dadurch ist es erstmals möglich, die Ausdehnung der Fundzone unter Wasser abzugrenzen. Im Bereich des Landesteges beim Park lässt sich in der Bohrflucht A (Nord-SüdRichtung) eine organische Schicht mit vielen Holzresten auf eine Länge von mindestens 30 m in 2-3 m Wassertiefe verfolgen. Über das Plateau der Halbinsel wurden zwei Bohrfluchten A80 und A90 in OstWest-Richtung geführt. Hier konnten sogar zwei Kulturschichten in 1,20-1,70 m bzw. 1,80-1,90 m Tiefe unter Seegrund (bei 1,5-2,0 m Wassertiefe) erbohrt werden. Die Kulturschichten enthielten zahlreiche verkohlte und unverkohlte Pflanzenreste, darunter auch viele Holzstücke. Für weiterführende Untersuchungen wurden drei Bohrkerne mit einem Durchmesser von 9 cm mittels einer Rammkernsonde gezogen und in das Mikroarchäologische Labor der Universität Innsbruck transportiert.
Alle Bilder wurden uns vom Kuratorium Pfahlbauten zur Verfügung gestellt.
Die Prospektionen im Uferbereich führte Markus Staudt (Universität Innsbruck) mit einem Magnetometer durch. Soweit es die Bepflanzung bzw. Bebauung im Areal des Parks zuließ, wurden zwei Messflächen mit 160 bzw. 200 m2 geomagnetisch vermessen, um mögliche prähistorische Strukturen unter der Erde zu detektieren. In den Magnetbildern zeichnen sich zahlreiche Störungen ab, die durch Eisenteile und die Gestaltung des Parks verursacht werden. Einige schwächere Anomalien könnten auf archäologische Befunde zurückgehen, was jedoch angesichts der kleinen Messfläche und der zahlreichen Störungen hypothetisch bleibt. Nicht zuletzt zeichnet sich die Grabungsfläche von 1994 im Magnetbild ab. Die geophysikalischen Messungen dienen als Grundlage für die Planung von weiteren Bohrungen im Uferbereich, die in der zweiten Prospektionswoche im April 2021 durchgeführt werden sollen. Mit Hilfe von Rammkernbohrungen können die Magnetanomalien möglicherweise genauer gedeutet werden. Als zweites wurde der Pfarrersgarten nördlich der Pfarrkirche geomagnetisch prospektiert. Auch hier war die Messfläche auf den ebenen Bereich von 155 m2 beschränkt, in dem sich zahlreiche Eisenteile als Anomalien abzeichneten. Bei einigen Befunde mit 0,5-0,8 m Durchmesser könnte es sich um Urnengräber handeln, wie sie im Jahr 1998 nur etwa 10 m weiter südlich im Klosterhof ausgegraben wurden. Das spätbronze- und hallstattzeitliche Gräberfeld dürfte sich also nach Norden bis zur Kante der Halbinsel fortgesetzt haben.
Den wertvollsten „Schatz“ aus der ersten Prospektionskampagne stellen die drei Bohrkerne dar, die aus dem Seegrund unter Wasser gezogen wurden. Sie enthalten nicht nur die Kulturschichten mit 4 organischen Resten, sondern auch Seesedimente, in denen sich Pflanzenpollen abgelagert haben. Aus den Pollen lässt sich die Vegetation in der Vergangenheit rekonstruieren – ein wichtiger Beitrag zur Frage nach dem prähistorischen Handelsplatz auf der Traunkirchner Halbinsel. Die Bohrkerne werden derzeit an der Universität Innsbruck nach allen Regeln der Kunst analysiert. Zuerst wurden sie im Labor der „Austrian Core Facility“ geröntgt, um Einschlüsse oder Funde zu erfassen. Anschließend wurden sie für die weiteren Analysen fachgerecht der Länge nach in zwei Hälften zerschnitten, um auch das Innere untersuchen zu können. Nach einem Fotoscan der Schichten gelangte eine Kernhälfte in den RFA-Scanner, um die chemische Zusammensetzung der Sedimente mit einer Auflösung von 1 mm zu analysieren. Auf diese Weise können zum Beispiel Metalleinlagerungen nachgewiesen werden, die auf Bronze- oder Eisenverarbeitung in der Vergangenheit hinweisen. Nach Abschluss dieser Untersuchungen waren die Expertinnen für Palynologie und Archäobotanik am Zug: Für die Analyse der Pollen stach Daniela Festi kleine Proben in regelmäßigen Abständen heraus. Marlies Außerlechner entnahm zur Untersuchung der Früchte, Samen und Hölzer größere Sedimentmengen (18-80 ml) aus den Kulturschichten und siebte die fragilen Pflanzenreste vorsichtig nass aus. Erste archäobotanische Ergebnisse liefern bereits wertvolle Einblicke in die Ernährungsgewohnheiten und den Ackerbau während der älteren Eisenzeit: An Getreide kommen Gerste, Weizen und Echte Hirse vor, zusätzlich sind Früchte wie Haselnuss, Kornelkirsche, Brombeere/Himbeere und Steinobst belegt. Die Reste erhielten sich verkohlt und unverkohlt. Nadeln von verschiedenen Baumarten wie Fichte, Lärche, Tanne und Zirbe lagen in ein paar Proben gemeinsam mit den Nahrungspflanzen vor und lassen auf die Nutzung dieser Hölzer schließen. Zusätzlich waren Schnecken, Muscheln, Insekten- und Knochenfragmente in den Kulturschichten enthalten, die ebenfalls genauer analysiert werden. Die andere Kernhälfte erhielt die Geoarchäologin Susanna Cereda, um aus den Ablagerungen Sedimentblöcke für mikromorphologische Untersuchungen zu entnehmen. Die Blöcke wurden im Labor gefriergetrocknet, mit Kunstharz vollständig gehärtet und anschließend zersägt, um Dünnschliffe anzufertigen. Mit dieser Technik ist es unter dem Mikroskop möglich, die winzigen Bestandteile der Schichten zu identifizieren. So können zum Beispiel Parasiteneier entdeckt werden, die Hinweise auf den Gesundheitszustand in der Eisenzeit liefern, oder Exkremente von Menschen und Tieren, die Hinweise auf die Ernährung geben. Diese vielversprechenden Analysen nehmen naturgemäß noch einige Zeit in Anspruch und werden voraussichtlich im Herbst 2021 abgeschlossen sein.
Auch die präzise Datierung der Kulturschichten ist durch die Messung von fünf Radiokarbondaten gelungen, die im VERA-Labor (Vienna Environmental Research Accelerator) der Universität Wien durchgeführt wurden. Für die 14C-Messungen wurden je zwei Proben aus den beiden Kulturschichten sowie eine Probe aus geringerer Tiefe ausgewählt. Die zwei Kulturschichten fallen eindeutig in die Hallstattzeit, wobei die untere Kulturschicht wahrscheinlich in der älteren Hallstattzeit (ca. 800 bis 630 v. Chr.), die obere Kulturschicht in der jüngeren Hallstattzeit (ca. 630 bis 450 v. Chr.) entstand. Diese Zeitspanne überlappt sich mit der Belegungszeit des Gräberfeldes und entspricht daher den Erwartungen. Ein Holzrest aus nur 55-60 cm Tiefe brachte hingegen eine Überraschung: Er datiert mit 78,1 % Wahrscheinlichkeit in den Zeitraum zwischen 950 und 1027 nach Christus, also genau in die Zeit um 1020 n. Chr., in der das Kloster Traunkirchen nach historischen Quellen gegründet wurde! Das Holz könnte im Zuge der Rodung der Halbinsel oder der ersten Baumaßnahmen gefällt worden sein. Damit schließt sich der Kreis von der Archäologie zur Geschichte: Die Bohrungen im Seegrund geben erstmals Grund zur Hoffnung, dass sogar archäologische Schichten aus der Frühzeit des Klosters erhalten blieben.
Helena Seidl da Fonseca hat ebenfalls einen schönen Bericht in ihrem Blog veröffentlicht!